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Sonntag, 8. Februar 2015, 18:10

Ein Plädoyer gegen die Enthalpie als zentrale Größe in der Lehre zur Thermodynamik

Energie oder Enthalpie

F. K. Schmidt

1. Einführung und Zusammenfassung

Der Beitrag versucht aufzuzeigen, weshalb es sowohl fachlich korrekter, wie auch pädagogisch sinnvoller wäre, auf den Enthalpiebegriff ( erst einmal ! ) ganz zu verzichten und statt dessen schlicht von “Energie” zu sprechen. Da die Bedeutung von Symbolen wie \[\Delta_rH \ , \ \Delta_rU \ und \ \Delta_rV \] ohnehin nur selten richtig verstanden wird, zumal sie auch in kaum einem Lehrbuch zutreffend erklärt werden, sehe ich keinen Grund, warum man die Änderung der Energie auch im Zusammenhang mit chemischen Reaktionen nicht erst einmal schlicht und ergreifend mit \[\Delta \ E \ := \ \Delta_rU \] bezeichnen können sollte.

Im Zusammenhang mit der Energetik chemischer Reaktionen sind die folgenden Energiegrößen von besonderem Interesse :

1. Die Energiedifferenz zwischen Produkt und Edukt
2. Die in der Umgebung kalorisch erfassbare Wärme
3. Die Antriebsenergie für die Reaktion selbst
4 . Die verfügbar zu machende Arbeitsfähigkeit

Die erste Position betrifft die Gesamtenergie, deren Verteilung auf die verschiedene Austauschformen der Energie, je nach Art der Reaktion, sowie der Reaktionsführung variieren kann.

2 . Die Energiedifferenz zwischen Produkt und Edukt

Die Änderung der Gesamtenergie wird mit der Reaktionsenergie \[\Delta_rU \] beschrieben. Der Index “r” weist hier darauf hin, dass es sich hier um die partielle Ableitung der inneren Energie U nach der Reaktionslaufzahl ( dem“Umsatz”) handelt. Kaum jemand reflektiert diesen Sachverhalt. Was in der Regel auch nicht unbedingt erforderlich erscheint, da sich der Differenzenquotient “Energieänderung pro Stoffmenge” von dem entsprechenden Differenzialquotienten. i.a. nicht wesentlich unterscheidet. So jedenfalls bei all den stoffdynamischen Zustandsänderungen, die einer definierten Stöchiometrie folgen, wie dies bei den meisten chemischen Reaktionen der Fall ist. Von daher gibt es wenig Grund, Schüler mit diesem Sachverhalt und der diesbezüglichen Schreibweise zu konfrontieren. Und dies unabhängig davon, ob man die Angabe der \[ Reaktionsenergie \ \Delta_rU \ \ \ oder \ \ \]\[ die \ \ Angabe \ \ der \ Reaktionsenthalpie \ \Delta_rH \] bevorzugt.
Zumindest bis einschließlich der Sekundarstufe I wäre es sinnvoll, die Reaktionsenergie schlicht mit \[ \Delta E \] zu bezeichnen und diesbezügliche Angaben in die Reaktionsgleichung zu integrieren. Ein separates Angeben neben der Reaktionsgleichung ist entbehrlich , weil nämlich \[\Delta \ E \ := \ \Delta_rU \] die Energiedifferenz “Produkte minus Edukte” korrekt , im Gegensatz zur Reaktionsenthalpie korrekt wiedergibt .

3. Die in der Umgebung des Reaktionssystems kalorisch erfassbare Wärme.

“Die Energie, die ein System aufgrund einer chemischen Reaktionen bei konstantem Druck als Wärme an die Umgebung abgibt oder von ihr aufnimmt, wird Reaktionsenthalpie genannt”. Diese Definition aus [1, S.53] ist in mehrfacher Hinsicht missverständlich bis zutreffend. Zuvörderst fehlt hier schon mal die Bedingung, dass die Reaktion isobar und isotherm sein muss . Weiterhin ist zu beanstanden, dass mit diesem misslungenen Definitionsversuch Allgemeingültigkeit für einen theoretischen Grenzfall beansprucht wird. Den Fall nämlich, dass eine chemische Reaktion in vollem Umfang irreversibel verläuft, was in Alltagssprache übersetzt bedeutet, dass die chemische Energie vollständig in Wärme transformiert und die darin enthaltene Arbeitsfähigkeit quasi vergeudet wird. Ein seltsam anmutendes Signal in Hinblick auf den sinnvollen Umgang mit Energie.
Nicht nur bei von Menschenhand gestalteten Prozessen – wie z.B. den in Batterien, Akkumulatoren und Brennstoffzellen ablaufenden chemischen Reaktionen - können mehr oder weniger große Anteile der Reaktionsenthalpie als Nutzarbeit verfügbar gemacht werden. Denn auch die Natur selbst hat Transformationsmechanismen entwickelt, die dafür sorgen, dass zumindest ein Teil der auf der Erde ankommenden Sonnenenergie in transformierbarer Form erhalten bleibt und nicht mehr oder weniger nutzlos in einer Form verströmt, die man gemeinhin als Wärme bezeichnet. So legt das Leben in Tier- und Pflanzenwelt Zeugnis davon ab, dass die über die Photosynthese gespeicherte Energie in Organismen nutzbar gemacht wird.
Dass alle Energie irgendwann einmal in einer Verteilungsform endet, die eine Nutzung als “Arbeit” unmöglich macht, ist zwar zutreffend, kann aber kaum als Begründung dafür herhalten, die für jede Form von Leben und Entwicklung von Mensch und Tier essentiellen Zwischenstufen einfach zu ignorieren und mit verfehlter Begrifflichkeit falsche Vorstellungen zu implantieren, die überdies – wenn auch ungewollt – mit einer fatalen Signalwirkung in Hinblick auf sinnvollen Umgang mit Energie verbunden sind.
Die Vorstellung, dass es sich bei der Reaktionsenthalpie vollumfänglich um “Wärme” handelt, steht in so eklatantem Widerspruch zu permanent wahrnehmbaren Phänomenen des Alltags, dass Definitionen wie die oben zitierte schon allein deshalb Kopfschütteln auslösen sollten, weil sie mit der allseits erhobenen Forderung nach mehr Alltagsbezug im Chemieunterricht nur schwerlich in Einklang zu bringen sein dürften.

Es ist aber nicht nur das allfällige Erleben von Natur und Technik, in dem sich das Identifizieren der Reaktionsenthalpie mit Wärme als unzutreffend offenbart. Auch gängige Unterrichtsexperimente fordern hier zum Widerspruch heraus. So erfreuen sich mit Leuchterscheinungen einhergehende Reaktionen als Experimente im Unterricht zunehmender Beliebtheit. Aber einen daraus möglicher Weise resultierenden Motivationseffekt auf Schülerseite zu nutzen, um z.B. eine augenfällige Lumineszenzerscheinung in die nachhaltig wirkende Erkenntnis umzusetzen, dass chemische Energie mehr als nur Wärme "ist", sollte eigentlich selbstverständlich sein. Die fehlerhafte Gleichsetzung von Reaktionsenthalpie und Wärme wäre von vorn herein ausgeschlossen. Weil sie nämlich nicht einmal für Schüler überzeugend und schon gar nicht konsistent zu vermitteln wäre. Es sei denn, man setzte auf Indoktrination.

Es ist offensichtlich, dass die Reaktionsenthalpie nur dann in vollem Umfang als kalorisch erfassbare Wärme wirksam werden kann, wenn die in der chemischen Energie gespeicherte Arbeitsfähigkeit vollkommen in Wärme transformiert wird, was wissenschaftlich gesprochen einen total irreversiblen Reaktionsverlauf voraussetzt. Ein Sachverhalt, der aber ohne die Grundüberlegungen zur Entropie kaum zu vermitteln sein dürfte.

4. Der auf Kalorik verengte Energiebegriff - alles andere als zeitgemäß.

Aus der Sicht einer modernen Auffassung von chemischer Thermodynamik erscheint der Enthalpiebegriff für die Lehre nur zweckmäßig in Kontexten, die für den Chemieunterricht nicht so von Bedeutung sind, als dass dies eine Zusammenfassung gemäß \[ \Delta_rH \ = \ \Delta_rU \ + \ p \ \Delta_rV\] als angezeigt oder auch nur als gerechtfertigt erscheinen lassen könnte. Es kann schließlich nicht Sinn eines Unterrichts sein, so viele Größen wie nur möglich zu definieren. “So viel wie nötig” ist da wohl das bessere Prinzip.
So ist die EnthalpieIn mMn in erster Linie als Relikt aus einer Zeit zu verstehehen, in der Thermodynamik vorwiegend als Kalorik gesehen und betrieben wurde, so dass die kalorisch erfassbare Wärme im Vordergrund fast aller Überlegungen stand. Diese Fokussierung auf Wärme war dem naturwissenschaftlichen Fortschritt wenig dienlich. Ein Beispiel dafür ist das "THOMSEN - BERTHELOT' sche Prinzip, das bis heute einem einfach plausiblen Verständnis des Antriebs chemischer Reaktionen und anderer stoffdynamisch zu beschreibender Vorgänge den Zugang regelrecht verstellt, indem es in verfehlten Interpretationen der Gibbs-Helmholtz- Gleichung weiter fortwirkt. Was aber im Rahmen dieses Beitrags im Einzelnen erst auf konkrete Nachfrage hin weiter ausgeführt werden soll.

Die unbestreitbare Tatsache, dass kalorische Messungen nach wie vor eine wesentliche Rolle in der Thermodynamik spielen, kann jedoch nicht hinreichende Begründung dafür sein, um weiterhin an einer von Kalorik dominierten chemischen Energetik festzuhalten. Die bei chemischen Reaktionen freiwerdende Energie auf ihre Wärmewirkung zu reduzieren, ist im Prinzip genau so abwegig wie es ein untauglicher Versuch wäre, die in Erdöl, Holz und Kohle vorhandene stoffliche Vielfalt zu ignorieren und die Bedeutung dieser Rohstoffe allein nach ihrem Heizwert beurteilen zu wollen.
In diesem Zusammenhang sollte auch Erwähnung finden, dass es mMn aus fachlicher, wie auch aus fachdidaktischer Sicht zu begrüßen wäre,wenn von Wärme nur noch dort gesprochen würde, wo es sich tatsächlich um Wärme handelt. Da Wärme mittlerweile mit einer zweistelligen Zahl verschiedener Bedeutungen kommuniziert wird, ist eine begriffliche Gesamtbereinigung nicht einfach. Gleichwohl bietet sich hier eine Teillösung an, die in einfacher Weise Missverständnisse ausschließt und gleichzeitig für eine zukünftige Begriffsbestimmung (fast) alle Optionen offenhält. So wäre es in der Mehrzahl der Wortverbindungen zweckmäßig, das Endwort “Wärme” durch das Wort “Energie” zu ersetzen. Solange Wärme eine Energie bleibt, wären alle diesbezüglichen Wortverbindungen fachlich jedenfalls nicht zu beanstanden. Vieles, was heute missverständlich als Wärme kommuniziert wird, wäre mit “Energie” zutreffend bezeichnet. Zu nennen wären hier Begriffe Schmelz - und Verdampfungswärme, Reaktionswärme und Umwandlungswärmen anderer Art, aber auch andere Wortverbindungen wie z.B. die verschiedenen “Wärmekapazitäten”.

Gruß FKS

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