Versuch einer ganzheitlichen Darstellung im Unterricht
Von Friedrich Karl Schmidt
1 Zusammenhalt und Expansionsstreben der Materie .
Zu wissen, "was die Welt im Inneren zusammenhält”, ist nicht erst seit Goethe eines der großen Fernziele der Naturwissenschaft. Es ist bemerkenswert, dass die Frage nach dem Auseinanderstreben der Materie sehr viel seltener gestellt wird, wo doch stabile Zustände der Abstoßung ebenso bedürfen wie der Anziehung.
Dass die Gravitation die Ursache ist, wenn ein Apfel vom Baum fällt, erfahren die Schüler im Unterricht. Weshalb er trotz fortwirkender Gravitation auf dem Boden liegen bleibt, statt im Erdboden zu versinken, bleibt offen. Es scheint auch keiner Erörterung wert, was uns davon abhält, mitsamt dem Erdboden ins Erdinnere stürzen und was die Erde insgesamt vom Gravitationskollaps verschont.Man erfährt eher, warum ein Flugzeug in der Luft bleibt und warum der Mond nicht auf die Erde stürzt, als dass ein Lehrer seine Schüler wenigstens darauf hinweist, dass in Bezug auf die Natur der offensichtlich vorhanderen Abstoßung noch Klärungsbedarf besteht.
Auch das begrenzte Fassungsvermögen von Behältern erscheint so selbstverständlich, dass nicht einmal Hochbegabte nach der Natur der Abstoßungskräfte fragen, ohne die eine solche Begrenztheit gar nicht möglich wäre. Wenn die Lehre diese Problematik erst einmal ignoriert, was durchaus didaktisch begründet sein kann, so wäre doch zu erwarten, dass die Klärung der diesbezüglichen Fragen bei passender Gelegenheit nachgeholt wird. In der Regel geschieht dies jedoch nicht, obwohl ein entsprechendes Problembewusstseins den Einstieg in die Elektrizitätslehre als kontinuierlichen Übergang erscheinen lassen könnte.
Ein im Sinne von Verständnis erfolgreicher Unterricht über Teilchenmodell, Atombau und chemische Bindung setzt jedoch eine gewisse Einsicht hinsichtlich des Wirkens von attraktiven und repulsiven Kraftelementen voraus, da deren Fehlen fast zwangsläufig zu Missverständnissen über die Stabilitätskriterien von Teilchensystemen führt.
So wird z.B. stillschweigend, aber unzutreffend davon ausgegangen, dass sich Körper allein auf Grund ihrer Masse gegenseitig auf Distanz halten. Die Trägheit der Masse impliziert jedoch keine “Sperrigkeit”. Bei Abwesenheit der elektromagnetischer Wechselwirkung und ohne die Bewegungsvorgänge im Innern der Materie wäre auch die Sperrwirkung von Wänden nicht gegeben. Man könnte einfach durch sie hindurchgehen, ohne eine Tür zu benutzen. In Bezug auf Fühlbarkeit oder Sichtbarkeit wären Wände – wie auch alle anderen Gegenstände - gar nicht vorhanden.
Masse an sich hat also keine “Balken”, auch nicht für Schall, Licht oder andere elektromagnetische Wellen. Es liegt auch nicht an der geringen Masse, dass man Atome und Moleküle nicht sehen kann, wie “Neue Wege zu einem fächerübergreifendem Teilchenkonzept” in den “Grundaussagen” glauben machen will [1]. Informationen über die geometrische „Größe“ von Teilchen basieren auf den von den Teilchen “verursachten” elektromagnetischen Feldern. Sie werden also von der Verteilung von Ladungen bestimmt und geben keinen Aufschluss über die räumliche Begrenzung ihre Masse, so dass in diesem Zusammenhang auch nicht darauf Bezug genommen werden sollte. Fehlerhafte Aussagen wie in [1] erscheinen auch als “Vereinfachung” nicht gerechtfertigt, da pädagogisch einleuchtende Gründe für didaktische Reduzierung weder vorgetragen werden, noch erkennbar sind.
Der Eindruck, dass die Größe “Masse” jenseits der realen Kausalitäten in der Lerhrbuchliteratur bisweilen als Joker missbraucht oder aber falsch verstanden wird, findet im Chemieunterricht seine Fortsetzung. So wird z.B. die geringere Flüchtigkeit des Schweröls im Vergleich zu Diesel oder Benzin fast schon regelmäßig der größeren Molekülmasse zugeschrieben und die höhere Siedetemperatur des Wassers gegenüber Schwefelwasserstoff gar als Anomalie bezeichnet. Im Internet musste einem Schüler Argumentationshilfe gegen seinen Chemielehrer geleistet werden, weil dieser nicht davon abzubringen war, dass das Kondensieren von Dämpfen auf Gravitation beruhe. Auch wenn dies ein Einzelfall sein sollte, er ist zweifellos eine Folge verfehlter Assoziationen von Moleküleigenschaften, deren Änderung zufällig auch der Masse folgt oder auch nur zu folgen scheint. Die erheblichen Unterschiede in den Siedetemperaturen isomerer Alkane und die verschwindend geringen Abweichungen bei Dotierung mit Isotopen sollten hinreichender Anlass sein, das Siedeverhalten der Stoffe nicht mit deren Masse in Verbindung zu bringen. Die nicht nur im Fall der Kohlenwasserstoffe zutreffende Erklärung, dass sich Dipolwirkungen der einzelnen C - H – Bindungen der Kettenlänge entsprechend summieren, was die Van der Waals – Bindungsenergie mit der Zahl der C- Atome anwachsen lässt, sucht man in Lehrbücher vergeblich, was zu der Frage berechtigt, warum Autoren diese einfache Erklärung ihren Lesern vorenthalten. Immerhin lässt sich dieser Zusammenhang mit perforiertem Papier auch noch überzeugend demonstrieren. Er ermöglicht Abschätzungen der Bindungstärken, basierend auf der Kettenlänge, ab der Moleküle nicht mehr unzersetzt verdampfen, ein Phänomen, das durch vergleichende Zerreißversuche mit perforiertem und nicht perforiertem, geklebtem und nicht geklebtem Material erfahrbar gemacht werden kann. Der fragwürdig- vordergründigen Logik der Masseassoziation folgend müsste eine von Knöpfen gehaltene Verbindung weniger von der Zahl der Knöpfe als von dem Gewicht des ganzen Textils abhängig sein und zwar unabhängig davon, ob alle Knöpfe zu sind oder nicht.
[1] I. Eilks und J. Möllering, MNU 54 (2001) S.243
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